Anrechnung: Kindererziehungszeiten in anderen EU-Staaten

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Rente Anrechnung: Kindererziehungszeiten in anderen EU-Staaten

In anderen EU-Mitgliedstaaten erfolgte Kindererziehungszeiten sind bei der Berechnung der Altersrente von dem zuständigen EU-Mitgliedstaat zu berücksichtigen. Damit bestätigte der Europäische Gerichtshof seine bisherige Rechtsprechungslinie mit einem Urteil vom 7. Juli 2022.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verdeutlichte mit seinem Urteil vom 7. Juli 2022 (C-576/20) , dass Kindererziehungszeiten, die in anderen EU-Mitgliedstaaten geleistet wurden, vom rentenzahlungspflichtigen EU-Mitgliedstaat zu berücksichtigen sind. Dies ist auch der Fall, wenn in den anderen Mitgliedstaaten ausschließlich Kindererziehungszeit zurückgelegt, aber keine Erwerbstätigkeit, geleistet wird.

Bei dem zugrundeliegenden Fall war die Betroffene selbständig in Österreich tätig. Sie beendete ihre Tätigkeit und zog nach Belgien, wo sie zwei Kinder zur Welt brachte. Sie betreute die Kinder in Belgien und anschließend in Ungarn ohne eine Erwerbstätigkeit auszuüben, ohne Leistung für die Kinderziehung zu beziehen und ohne Versicherungszeiten zu erwerben. Im Anschluss an ihren Aufenthalt in Ungarn war sie wieder in Österreich bis zum Eintritt in die Rente beitragspflichtig tätig. Die Kindererziehungszeiten in Belgien und Österreich wurden auf die Berechnung ihrer Altersrente von der für ihre Rente zuständigen Pensionsversicherungsanstalt in Österreich nicht anerkannt. Der Oberste Gerichtshof in Österreich legte dem EuGH die Frage zur Anrechenbarkeit dieser Zeiten vor.

Die Betroffene erfüllte zwar laut Urteil nicht die Voraussetzung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Österreich zu Beginn der zu berücksichtigenden Kindererziehungszeit. So sehen es die Regelungen des europäischen Verordnungsrechts zur Koordinierung der Sozialversicherungssysteme vor (Artikel 44 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009). Dies hätte jedoch bedeutet, dass die Betroffene durch die abgelehnte Berücksichtigung der Kindererziehungszeit benachteiligt würde, nur weil sie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hatte, um in einem anderen EU-Mitgliedstaat zu leben und dort die Kinder zu erziehen.

Dem stünde laut EuGH der übergeordnete europarechtliche Grundsatz der Freizügigkeit entgegen (Artikel 21 AEUV - Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Das Verordnungsrecht sei nicht als abschließende Regelung zu interpretieren. Es habe im vorliegenden Fall eine hinreichende Verbindung zwischen der von der Betroffenen im EU-Ausland zurückgelegten Kindererziehungszeit und den aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Österreich erworbenen Versicherungszeiten bestanden. Die Betroffene habe in Österreich vor und nach den Kinderziehungszeiten beitragspflichtig gearbeitet. Daher war Österreich laut EuGH verpflichtet, die in Frage stehenden Kindererziehungszeiten entsprechend der relevanten nationalen Vorschriften zu berücksichtigen und auf die Rente anzurechnen.  

Ein ähnlich gelagertes EuGH-Urteil aus dem Jahr 2012 (C-522/10 Reichel-Albert) bezieht sich auf einen in Bayern angesiedelten Sachverhalt. Auch hier hatte die Betroffene nur in einem Mitgliedstaat (Deutschland) eine berufliche Tätigkeit ausgeübt, zur Zeit der Geburt ihrer Kinder ihre Berufstätigkeit vorübergehend eingestellt und ihren Wohnsitz aus rein familiären Gründen für eine bestimmte Zeit nach Belgien verlegt. Auch hier kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Kinderziehungszeiten in Belgien vom für die Rente zuständigen Mitgliedstaat (Deutschland) so zu berücksichtigen seien, als seien sie im Inland zurückgelegt worden.