BFH-Urteil: Polnische Familienbeihilfe 500+ anzurechnen

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Kindergeld BFH-Urteil: Polnische Familienbeihilfe 500+ anzurechnen

EU-Arbeitnehmer/innen in Deutschland haben für ihre Kinder Anspruch auf Kindergeld. Besteht in mehreren Mitgliedstaaten ein Anspruch auf vergleichbare Familienleistungen, weil z.B. die Eltern in verschiedenen Mitgliedstaaten leben, regelt das europäische Koordinierungsrecht, welcher Mitgliedstaat vorrangig und welcher nachrangig zuständig ist und wie die Leistungen zueinander stehen.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte über den Kindergeldanspruch eines polnischen Familienvaters zu entscheiden, der als entsandter Arbeitnehmer in Deutschland tätig war (Urteil vom 25.07.2019, III R 34/18). Nachdem die deutsche Familienkasse Kindergeld auf Grundlage des Einkommensteuergesetzes (EStG) bewilligt hatte, teilte der zuständige polnische Träger der Familienkasse mit, dass der Familie auch eine polnische Familienbeihilfe zur Kindererziehung (Kurzbezeichnung 500+) gezahlt wurde. Die Familienkasse rechnete darauf die polnische Familienbeihilfe auf den Kindergeldanspruch nach EStG an, änderte die Festsetzung und forderte die Überzahlung zurück. Zu Recht, entschied der BFH. Die polnische Familienbeihilfe sei eine mit dem deutschen Kindergeld vergleichbare Familienleistung und vorrangig zu zahlen.

Info Rangfolge: Besteht in mehreren Mitgliedstaaten ein Anspruch auf vergleichbare Familienleistungen, ist nach europäischem Koordinierungsrecht die Rangfolge der Ansprüche zu bestimmen [Artikel 68 der Verordnung (EG) 883/2004]. Es gilt: Wird ein Anspruch aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ausgelöst, hat er Vorrang vor einem Anspruch, der aufgrund von Rente und danach aufgrund des Wohnorts ausgelöst wird. Entscheidend ist also, aufgrund welcher Umstände die berechtigte Person den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterstellt ist [Artikel 11 bis 16 der Verordnung (EG) 883/2004].

Der Kläger war ein von seinem polnischen Arbeitgeber nach Deutschland entsandter Arbeitnehmer. Aufgrund seiner Beschäftigung als Entsandter galten für den Kläger die polnischen und nicht die deutschen Rechtsvorschriften (Artikel 12 der Verordnung 883/2004). Folglich entschied der BFH, dass der aufgrund der Beschäftigung ausgelöste Familienleistungsanspruch vorrangig sei, also der polnische. Daher stellte die Familienkasse den Kindergeldanspruch nach EStG rechtmäßig in Höhe der polnischen Familienleistung 500+ ruhend. Nur die Differenz zwischen deutschem Kindergeld und polnischer Familienleistung war von der Familienkasse zu zahlen.

Info Differenzkindergeld: Besteht in zwei Mitgliedstaaten ein Leistungsanspruch, kann im nachrangig zuständigen Mitgliedstaat ein Anspruch auf die Differenz – hier das Differenzkindergeld – bestehen. Das europäische Koordinierungsrecht bestimmt also nur das Vorrang-/Nachrangverhältnis; es „sperrt“ per se keine nationalen Leistungsansprüche. Differenzkindergeld kommt in Betracht, wenn die vorrangige kindergeldähnliche Familienleistung niedriger ist als die nachrangige.

Der BFH wies in seinem Urteil ergänzend darauf hin, dass Differenzkindergeld nicht zu zahlen sei, wenn der Leistungsanspruch im nachrangig zuständigen Mitgliedstaat ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird (Artikel 68 Absatz 2 der Verordnung 883/2004)! Dies war im vorliegenden Fall aber nicht Gegenstand der Entscheidung.

Info Antrag: Erhält der Träger in einem Mitgliedstaat, etwa die Familienkasse in Deutschland, einen Antrag auf Kindergeld, entscheidet er in einem grenzüberschreitenden Fall innerhalb der Europäischen Union über die Rangfolge der Ansprüche. Bei Nachrang: Die Familienkasse hat eine vorläufige Entscheidung über den Nachrang zu treffen und den Antrag an den Träger im anderen Mitgliedstaat weiterzuleiten (dazu Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21.02.2013, Az.: 3 K 3137/12). Erforderlichenfalls zahlt sie den Unterschiedsbetrag (Artikel 68 Absatz 3 der Verordnung 883/2004). Bei Vorrang: Die Familienkasse zahlt das Kindergeld, wenn nach nationalem Recht ein Anspruch besteht. Kommt ein Anspruch auf einen Differenzbetrag in einem nachrangig zuständigen Mitgliedstaat in Betracht, übermittelt die Familienkasse dem entsprechenden Träger dort den Antrag. In allen Fallkonstellationen wird der Antragsteller über die jeweiligen Vorgänge informiert.

Ergänzende Hinweise finden Sie in dem Artikel Elternteil lebt in einem anderen EU-Mitgliedstaat (Newsletter 02/2018).