Kindergeld bei verschiedenen Wohnsitzen in der EU

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Familienleistungen Kindergeld bei verschiedenen Wohnsitzen in der EU

Eltern und Kinder leben in verschiedenen EU-Ländern. Für diese Fälle gibt es europäische Regelungen, die bestimmen, welches EU-Land vorrangig für Familienleistungen, wie das Kindergeld, aufzukommen hat. Wenn kein Anspruch auf Kindergeld im eigentlich vorrangig zuständigen EU-Mitgliedstaat besteht, muss ein bestehender Anspruch in dem anderen Mitgliedstaat in voller Höhe erfüllt werden.

Gegenstand des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18. Februar 2021 Az.
III R 2/20
(veröffentlicht am 14.5.2021) war folgende Familienkonstellation: Die italienische Kindsmutter lebte mit ihrem minderjährigen Kind in Italien. Sie war nicht erwerbstätig und bezog keine Rente; der italienische Kindsvater lebte in Deutschland, war ebenfalls nicht erwerbstätig und bezog Grundsicherungsleistungen nach SGB II. In Italien bestand für das Kind unbestritten kein Anspruch auf kindergeldähnliche Leistungen. Die deutsche Familienkasse hatte zugunsten der Mutter Kindergeld festgesetzt, hob die Leistungen jedoch rückwirkend wegen Änderung wesentlicher Verhältnisse wieder auf. Gegen diesen Aufhebungsbescheid ging die Mutter rechtlich vor.

Anspruch auf Kindergeld - Wohnsitzerfordernis

Der Anspruch auf Kindergeld nach Einkommensteuergesetz (EStG) setzt voraus, dass der Antragsteller oder die Antragstellerin in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen bzw. ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 62 Absatz 1 Satz 1 EStG). Die Mutter des Kindes lebte im vorliegenden Fall zwar in Italien; nach EU-Verordnungsrecht zur Koordinierung der Sozialversicherungssysteme in der Europäischen Union wurde aber zu ihren Gunsten ein Wohnsitz in Deutschland angenommen („fingiert“): Bei dem Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs ist die Situation der gesamten Familie so zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen (Artikel 60 Absatz 1 Satz 2 der EU-Verordnung Nr. 987/2009 in Verbindung mit Artikel 67 der EU-Verordnung Nr. 883/2004). Dies „(…) kann daher dazu führen, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind.“

Anwendung der Koordinierungsregel bei mehr als einem Anspruch

Die Koordinierungsregel nach europäischen Verordnungsrecht kommt dann zur Anwendung, wenn in mehreren EU-Mitgliedstaaten für den gleichen Zeitraum und für die gleichen Personen familienähnliche Leistungen (hier Kindergeld) zu gewähren sind. Dann wird darüber bestimmt, welcher Mitgliedstaat vorrangig den Anspruch zu bedienen hat und welcher nachrangig. An erster Stelle stehen die Ansprüche, die sich aufgrund von abhängiger oder selbständiger Erwerbstätigkeit in einem Mitgliedstaat ergeben, dann aufgrund von Rente und schließlich aufgrund des Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat.

Info Differenzkindergeld: Ein nachrangig zuständiger Mitgliedstaat muss möglicherweise einem Anspruch auf Zahlung des Differenzbetrags nachkommen, wenn die kindergeldähnliche Leistung hier höher ausgefallen wäre als im vorrangig zuständigen Mitgliedstaat (Artikel 68 Absatz 2 der EU-Verordnung Nr. 883/2004 zum „Unterschiedsbetrag“). Ausnahme: Nur wenn der Leistungsanspruch allein auf einem Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat beruht, besteht kein Anspruch auf Ausgleich des Differenzbetrages.

Für die Anwendung der Koordinierungsregel ist laut BFH-Urteil allerdings erforderlich, dass die Ansprüche tatsächlich bestehen, damit festgestellt werden kann, welcher Anspruch von welchem Mitgliedstaat vorrangig zu bedienen ist. Es genügt nicht, dass grundsätzlich gleichartige Ansprüche in den Ländern vorgesehen sind. Im vorliegenden Fall bestand in Italien unbestritten kein Anspruch auf Kindergeld. Das heißt allgemein formuliert: Wird in dem eigentlich vorrangig zuständigen Mitgliedstaat (wie hier Italien), keine kindergeldähnliche Leistung gewährt, weil die Voraussetzungen dafür nach den nationalen Rechtsvorschriften nicht erfüllt sind, müssen die Ansprüche für das Kind durch den nachrangig zuständigen Mitgliedstaat erfüllt werden. Die Koordinierungsregeln wurden letztlich geschaffen, um "ungerechtfertigte Doppelleistungen" bei Zusammentreffen von mehreren Ansprüchen zu vermeiden; nicht aber um das Ergebnis zu erzielen, einen Leistungsanspruch auszuschließen, wenn er – wie hier – überhaupt nur in einem Mitgliedstaat besteht.