Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung

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Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung

Fallbeispiel
Daniel hat über eine Internetanzeige eine Agentur in seinem Heimatland Rumänien gefunden, welche ihm Arbeit in Deutschland vermitteln wird. Dafür muss er 1000 € bezahlen. Da er nicht so viel Geld hat, teilt ihm die Agentur mit, dass er die Gebühr später abarbeiten kann. In Deutschland holt ihn sein neuer Arbeitgeber vom Busbahnhof ab und bringt ihn in eine kleine Wohnung, in der bereits andere Männer übernachten. Der Arbeitgeber überredet Daniel dazu, ihm seine Dokumente zu geben, da sie bei ihm sicherer aufbewahrt seien. Für die Unterkunft muss Daniel 500 € im Monat bezahlen. Der Arbeitgeber zeigt ihm Unterlagen auf Deutsch, die Daniel nicht versteht und sagt, es sei sein Arbeitsvertrag. Nachdem Daniel unterschrieben hat, nimmt der Arbeitgeber ihm die Unterlagen wieder weg. Er beginnt zu arbeiten: Durchschnittlich zwölf Stunden an sechs Tagen in der Woche. Der Arbeitgeber fährt ihn jeden Tag zu verschiedenen Baustellen und bringt ihn zurück, sodass Daniel gar nicht wirklich weiß, wo er eigentlich ist oder arbeitet. Er kennt nur den Weg von der Unterkunft zum Supermarkt. Am Ende des ersten Monats bekommt er kein Geld, mit der Begründung, er müsse erst seine Schulden abbezahlen. Am Ende des zweiten Monats wird er erneut vertröstet. Er bekommt ein- mal 300 €, um sich Essen zu kaufen. Er freundet sich mit zwei weiteren Männern aus seiner Unterkunft an, die ihm berichten, sie hätten gerade genug Geld bekommen, um zu überleben. Er will kündigen und ausziehen und fordert seine Dokumente zurück. Der Arbeitgeber weigert sich und droht ihm damit, dass er ihm noch Geld schulde. Außerdem wisse er, wo Daniels Familie wohne, die „Besuch“ bekäme, wenn er nicht weiterarbeiten würde. Gleichzeitig verspricht er erneut, ihm bald Geld zu geben. Daniel kennt niemanden in Deutschland, spricht kein Deutsch, hat kein Geld, kennt seine Rechte nicht und hat Angst. Er sieht keine andere Möglichkeit, als weiterzuarbeiten.

Daniel befindet sich in einer Situation, aus der er sich nicht ohne weiteres allein befreien kann. Er wurde durch Vortäuschung falscher Tatsachen in ein ausbeuterisches Arbeitsverhältnis gelockt. Er bekommt so gut wie gar kein Geld. Zudem wird ihm gesagt, er habe Schulden. Der Arbeitgeber hat ihm damit gedroht, seiner Familie im Heimatland etwas anzutun. Darüber hinaus hat er ihm sämtliche Dokumente abgenommen, so dass Daniel nicht einfach seinen Arbeitgeber verlassen kann.

Dies sind typische Anzeichen für Menschenhandel, Zwangsarbeit oder Arbeitsausbeutung. Eine Checkliste der Serviestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel hilft dabei, Anzeichen von Zwangsarbeit zu identifizieren und einzuordnen:

https://www.servicestelle-gegen-zwangsarbeit. de/arbeitshilfen/indikatorenliste/

1. Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel und Zwangsarbeit

Als Betroffener von Zwangsarbeit hat Daniel besondere  Rechte. Insbesondere sind die deutschen Behörden verpflichtet, die Zwangssituation als solche zu identifizieren und ihn daraus zu befreien. Gleichzeitig hat er auch ein Recht auf Information und Beratung.

Es ist sehr wichtig, dass Daniel als Betroffener erkannt und an eine spezialisierte Beratungsstelle verwiesen wird oder selbst eine solche Beratungsstelle aufsucht.

Die spezialisierte Beratungsstelle kann ihn unter anderem zu aufenthaltsrechtlichen und sozialrechtlichen Fragen beraten, Krisenintervention und psychosoziale Beratung leisten und einen Rechtsbeistand vermitteln. Sie hilft bei existenziellen Notlagen, kennt Zugänge zu medizinscher Versorgung und kann bei Bedarf auch zu Hilfsangeboten in den Herkunftsländern informieren. Eine spezialisierte Beratungsstelle kann Daniel auch dabei unterstützen, eine Unterkunft zu finden. Dies gilt für Unionsbürgerinnen und Unionsbürger sowie auch für Menschen aus Drittstaaten.

Eine Übersicht aller auf die Themen Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit spezialisierten Beratungsstellen finden Sie zum Beispiel hier:

https://www.servicestelle-gegen-zwangsarbeit. de/beratungsstellen/

Auch arbeitsrechtliche Beratungsstellen sind in der Regel dafür sensibilisiert, Anzeichen von Zwangsarbeit und Ausbeutung zu erkennen und den Betroffenen in ihrer prekären Lage zu helfen.

Darüber hinaus gibt es weitere Materialien, die insbesondere Beratungsstellen und Behörden das Erkennen von Anzeichen von Zwangsarbeit erleichtern sollen. Zum Beispiel:

  • die "Visiual-Language"-Broschüre, die helfen kann eine erste, niedrigschwellige Beratung zur Erkennung von Ausbeutung durchzuführen.

https://www.servicestelle-gegen-zwangsarbeit.de/wp-content/uploads/2018/material/praxismaterialien/0_Visual-language_Broschu%CC%88re_web.pdf

  • ein Informationsflyer für Betroffene, der Ausbeutungsindikatoren und Informationen über Rechte von Betroffenen vereint. Er kann als erster Schritt zur Erfüllung der Informationspflicht von Behörden ausgehändigt werden. Es gibt ihn bereits in neun Sprachen.

https://www.servicestelle-gegen-zwangsarbeit.de/aktuelles/flyer-zu-betroffenenrechten/

2. Jobcenter

Daniel ist Unionsbürger und damit freizügigkeitsberechtigt. Bei Fragen zur Lebensunterhaltssicherung können Daniel die spezialisierten Beratungsstellen für Betroffene von Zwangsarbeit weiterhelfen. Grundsätzlich haben Unionsbürgerinnen und Unionsbrger, die von Zwangsarbeit betroffen sind, Anspruch auf existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II.

Um einen Anspruch gegenüber dem Jobcenter geltend zu machen, ist in der Regel eine Bescheinigung der Polizei, des Zolls oder der Staatsanwaltschaft erfor derlich, in der der Verdacht auf Arbeitsausbeutung/ Zwangsarbeit/Menschenhandel bestätigt wird. Die spezialisierte Beratungsstelle hilft Daniel dabei, diese Bescheinigung zu erhalten.

3. Polizei/Zoll

Daniel kann sich auch direkt an eine Strafverfolgungsbehörde wenden, wie z. B. die Polizei oder den Zoll. Sinnvoll ist es jedoch immer, davor Kontakt zu einer spezialisierten Beratungsstelle aufzunehmen. Die Beratungsstelle hat Erfahrung mit anderen Fällen und in der Zusammenarbeit mit Behörden. Sie kann daher besser einschätzen, ob die Behörden Daniel helfen können. Die Beratungsstelle hat in der Regel einen zuständigen Ansprechpartner bei der Polizei oder beim Zoll, der mit der Thematik der Zwangsarbeit vertraut ist.

Alle Menschen, die in Deutschland arbeiten, müssen dies den Behörden gegenüber rechtzeitig mitteilen und - wenn sie Arbeitslohn beziehen - Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Daniel wurde nicht zur Sozialversicherung angemeldet und es wurden weder Steuern noch Sozialversicherungsbeiträge für ihn gezahlt. Das ist in Deutschland illegal.

Das Risiko, wegen eines solchen Vergehens bestraft zu werden, ist für Daniel allerdings gering. Zeigt ein Opfer von Menschenhandel eine von ihm begangene Straftat an, kann die Staatsanwaltschaft von der Strafverfolgung absehen. Nur bei besonders schwerwiegenden Straftaten wird die Staatsanwaltschaft auch gegen das Opfer selbst vorgehen müssen. Wurde lediglich eine Ordnungswidrigkeit begangen, liegt es im Ermessen der zuständigen Behörde, ob eine Tat verfolgt bzw. ein Bußgeld verhängt wird.

Auch wenn Daniel als potenzielles Opfer von Menschen handel generell nicht verpflichtet ist, mit der Polizei oder dem Zoll zu kooperieren, bietet es für ihn doch eher Vor- als Nachteile. Außerdem kann er als Zeuge dazu beitragen, dass der Täter eine Strafe bekommt. Im besten Falle verhindert Daniel damit zudem, dass andere Menschen ausgebeutet werden, weil die Täter von der Strafe abgeschreckt werden.

4. Arbeitgeber

Daniel hat gearbeitet und hat Anspruch seinen Lohn auch zu erhalten. Eine arbeitsrechtliche Beratungsstelle kann Daniel dabei unterstützen, den Lohn für seine Arbeit zu bekommen. Dafür wird sie den Arbeitgeber kontaktieren und Daniel bei der Suche nach einem Anwalt unterstützen, falls er vor ein Arbeitsgericht ziehen muss. Die genauen Schritte wurden im Kapitel 2: Nichtauszahlung des Lohnes beschrieben.

5. Gericht: Strafverfahren/ Adhäsionsverfahren

Eine spezialisierte Beratungsstelle für Zwangsarbeit kann Daniel darüber aufklären, welche Handlungsoptionen und Unterstützungsmöglichkeiten er hat, wenn es zu einem Strafverfahren gegen den Arbeitgeber kommt. Sie kann ihn auch unterstützen, einen geeigneten Anwalt zu finden. Sie kann auch prüfen, ob er ein Recht hat, für materielle oder immaterielle Schäden entschädigt zu werden.