EuGH zur Sozialversicherung bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerüberlassung

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Hintergrund

In dem konkreten Fall ging es um eine bulgarische Vermittlungsfirma, die bereits seit Jahren für den alleinigen Zweck der Vermittlung ins Ausland Leiharbeitskräfte einstellte. Für diese Arbeitskräfte wurden anschließend sogenannte A1-Bescheinigungen bei den bulgarischen Behörden beantragt. Dadurch konnte die Vermittlungsfirma, trotz Beschäftigung der Arbeitskräfte im EU-Ausland, die Sozialversicherungsbeiträge weiterhin in Bulgarien abführen. Als für eine nach Deutschland entsandte Leiharbeitskraft nachträglich eine A1-Bescheinigung beantragt wurde, wurde diese von den bulgarischen Behörden verweigert. Die Begründung der Behörden war, dass das Unternehmen in Bulgarien keine „nennenswerten Tätigkeiten“ ausübe und damit die Voraussetzungen für die Ausstellung von A1-Bescheinigungen nicht erfüllt seien.

Wenn die wirtschaftlichen Tätigkeiten eines Unternehmens allein aus der Vermittlung von Arbeitskräften ins Ausland bestehen, müssen die Sozialversicherungsbeiträge im Zielland der Entsendung abgeführt werden. Die Anwendung der in dem Land der Niederlassung einer Firma geltenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften während der Überlassung der Arbeitskraft an einen ausländischen Entleiher, setzt voraus, dass die Firma als Arbeitgeber „gewöhnlich dort tätig“ wird (Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der EU in Verbindung mit Artikel 14 Absatz 2 der Durchführungsverordnung Nr. 987/2009). Dabei darf es sich nicht nur um rein interne Verwaltungstätigkeiten handeln.

Die bulgarische Firma hatte geklagt und sich darauf bezogen, dass die Auswahl, Einstellung und das Überlassen von Leiharbeitskräften im Niederlassungsland vollzogen würde; dies übersteige reine Verwaltungstätigkeiten. Daher sei die Bedingung erfüllt, dass im Land der Niederlassung nennenswerte Tätigkeiten ausgeübt würden.

Entscheidung

Der EuGH hat in seinem Urteil die Entscheidung der bulgarischen Behörden bestätigt. Zur Abgrenzung von rein internem Verwaltungshandeln müssten zur Bestimmung von nennenswerten Tätigkeiten laut EuGH Kriterien herangezogen werden, die für das betreffende Unternehmen charakteristisch seien. Eine Leiharbeitsfirma, die als hauptsächliche Tätigkeit die Auswahl und die Einstellung von Leiharbeitnehmern/innen betreibe, übe nur dann in dem Mitgliedstaat der Niederlassung „nennenswerte Tätigkeiten“ aus (und werde damit dort gewöhnlich tätig), wenn es in nennenswertem Umfang auch zur Überlassung von Arbeitnehmern/innen an Unternehmen komme, die ebenfalls in diesem Mitgliedstaat ansässig und tätig seien. In diesem konkreten Fall beschäftigte das Unternehmen im Niederlassungsland Bulgarien nur Leitungs- und Verwaltungspersonal. Alle Leiharbeitskräfte wurden ins EU-Ausland entsandt und genau zu diesem Zweck eingestellt. Zudem wurden alle Umsätze im fraglichen Zeitraum aus Tätigkeiten im Ausland erzielt.

Auswirkung auf grenzübergreifende Leiharbeit

Das EuGH-Urteil schafft Klarheit zu den bereits seit 2004 feststehenden Voraussetzungen, die vom Arbeitgeber erfüllt werden müssen, um die Rechtsvorschriften – und in diesem konkreten Fall Sozialversicherungsvorschriften – des Niederlassungslandes auf die grenzübergreifend praktizierte Leiharbeit anwenden zu können. Angesichts der großen Unterschiede in Bezug auf die Höhe der Sozialversicherungsbeträge innerhalb der EU-Mitgliedstaaten, haben viele Unternehmen mit Niederlassungen in Ländern mit wesentlich geringeren Sozialversicherungsbeiträgen, Leiharbeitnehmer/innen in Ländern mit höheren Beiträgen entsandt und damit den Wettbewerb sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite verzerrt.

Reaktion der Sozialpartner auf das EuGH-Urteil

Die deutschen Gewerkschaften begrüßen die Entscheidung und hoffen, dass die Praktik der Gründung von Firmen, deren Zweck allein in der Entleihung von Arbeitskräften ins Ausland bestehen, nun enden könne. Sie weisen aber darauf hin, dass für die Umsetzung des Urteils sowohl im Zielland als auch im Niederlassungsland mehr Kontrollen durch die zuständigen Behörden notwendig seien, um festzustellen, welches Recht auf Leiharbeitskräfte anzuwenden ist.

Die Arbeitgeberverbände begrüßen, dass bei der grenzüberschreitenden Leiharbeit der Wettbewerbsvorteil durch die Wahl des preisgünstigsten Sozialversicherungsrechtes durch das Urteil nicht mehr gegeben sei.