Fallbeispiel
Jiří arbeitet seit einem Jahr als Kundenberater für einen Reiseveranstalter und wurde Ende März von seinem Arbeitgeber wegen der Corona-Pandemie in Kurzarbeit geschickt. Der Chef hat ihm eine Vereinbarung zur Unterzeichnung gegeben und gesagt, dass er in Kurzarbeit gehen muss. Wenn Jiří die Vereinbarung nicht unterzeichnet, würde er gekündigt, hieß es. Die Vereinbarung war für Jiří gar nicht klar: Es stand darin, dass er zwischen 0 und 40 Stunden pro Woche arbeiten wird, es wurde nicht vereinbart, für wie lange die Kurzarbeit gilt. Jiří hat die Vereinbarung trotzdem unter- schrieben, wie alle anderen Kolleginnen und Kollegen. Die folgenden Monate hat Jiří unterschiedlich lange gearbeitet: Manchmal nur zwei Stunden am Tag, an anderen Tagen musste er aber acht und mehr Stunden machen. Im Mai hat er eine Woche Urlaub genommen, dazwischen gab es auch Feiertage. Monatlich hat Jiří statt der üblichen 2.000 € immer nur 1.200 € überwiesen bekommen. Jiří versteht seine Lohnabrechnungen nicht: Die Beiträge neben den Positionen Kurzarbeitergeld, Urlaub und Feiertag sind für ihn nicht nachvollziehbar. Nach drei Monaten passierte das, womit Jiří gar nicht gerechnet hat: Er hat eine Kündigung bekommen. Als Kündigungsgrund ist „aus betrieblichen Gründen“ angegeben. Jiří ist sehr enttäuscht, weil er findet, dass sein Chef seine Versprechen nicht eingehalten hat: Der Arbeitsplatz von Jiří musste doch erhalten werden. Die Kündigung findet Jiří unfair und er will etwas dagegen unternehmen. Er will jetzt seinen gesamten Lohn und auch melden, dass der Chef ihm zu wenig Geld gezahlt hat. Aber an wen?
Jiří geht direkt zu einer Beratungsstelle für ausländische Beschäftigte, die auch vielen seiner Freunde bei Problemen mit Arbeitgebern geholfen hat. Deutschlandweit gibt es mehrere solcher Beratungsstellen:
Spezifische arbeitsrechtliche Beratungsstellen:
https://www.arbeitundleben.de/beratungsstellen/beratungsstellen
https://www.faire-mobilitaet.de/beratungsstellen
Eine Übersicht aller Beratungsstellen nach Schwerpunkt sowie auch nach Sprache findet man hier:
https://www.eu-gleichbehandlungsstelle.de/beratungsstellensuche
Die Beratung ist kostenlos. Die Beraterinnen oder Berater sprechen mehrere Sprachen und können Jiřís Arbeitsunterlagen aus rechtlicher Perspektive prüfen und konkrete Lösungsmöglichkeiten vorschlagen.
Bei der Beratung erfährt Jiří mehr über die Kurzarbeit: Es ist eine Maßnahme, die helfen soll, Kündigungen zu vermeiden. Arbeitgeber, die vorübergehend eine schlechte Auftragslage haben, wie z. B. der Arbeitgeber von Jiří aktuell wegen der Corona-Einschränkungen, müssen ihr Personal nicht sofort entlassen. Stattdessen können sie die Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorübergehend reduzieren. Wenn sich die Auftragslage wieder verbessert hat, kann die Arbeitszeit sofort erhöht werden.
Wenn ein Arbeitgeber Kurzarbeit einführen möchte, braucht er die Zustimmung des/der Arbeitnehmer/in. Meistens wird die Zustimmung durch eine schriftliche Vereinbarung bestätigt. Solche Vereinbarungen müssen klar und unmissverständlich formuliert sein. Anfang und Ende der Kurzarbeit sollen ausdrücklich festgelegt werden. Die Vereinbarung, die Jiří unterzeichnet hat, erfüllt diese Voraussetzungen nicht und es könnte sein, dass sie damit unwirksam ist. Eine Folge wäre, dass Jiří den vollen Lohnanspruch hätte, auch für die ausgefallenen Arbeitsstunden. Das müsste aber juristisch näher geprüft werden, z. B. durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht.
Für die ausgefallenen Arbeitsstunden erhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 60 % des ausgefallenen Arbeitslohnes (wenn sie Kinder haben 67 %). Dieser Lohn wird auch Kurzarbeitergeld genannt.
Dafür bekommt der Arbeitgeber eine Subvention von der Bundesagentur für Arbeit. Der Arbeitgeber von Jiří meldet zum Ende des Monats an die Arbeitsagentur, wie viele Stunden tatsächlich weggefallen sind. Diese Angaben müssen wahrheitsgemäß sein. Während des Urlaubs muss Jiří sein übliches volles Urlaubsentgelt bekommen. Die Feiertage muss der Arbeitgeber von Jiří auch selbst bezahlen, aber nur in Höhe des Kurzarbeitergeldes.
Die Beraterinnen oder Berater stellen durch Vergleiche der Arbeitszeitlisten und der Lohnabrechnung fest, dass Jiří zu wenig Geld bekommen hat. Sie raten Jiří dazu, auf Lohnnachzahlung zu klagen. Die genauen Schritte wurden im Kapitel 2: Nichtauszahlung des Lohnes beschrieben.
Was die Kündigung von Jiří angeht: Während der Kurzarbeit gibt es grundsätzlich kein Verbot, eine Kündigung auszusprechen.
Wenn sich die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers trotz der Anwendung der Kurzarbeit nicht verbessert und damit der Arbeitsplatz von Jiří dauerhaft wegfällt, kann der Arbeitgeber Jiří unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen kündigen:
Jiří arbeitet länger als sechs Monate in dem Unternehmen, das mehr als zehn Beschäftigte hat. Er fällt damit unter den gesetzlichen Kündigungsschutz. Ob die Kündigung des Arbeitgebers begründet und sozial ist, kann das Arbeitsgericht prüfen. Wenn Jiří das möchte, kann er im Arbeitsgericht gegen diese Kündigung klagen. Die Beraterinnen oder Berater können Jiří darauf vorbereiten, eine Klage gegen die Kündigung zu erheben.
Mit der Kündigung endet die Kurzarbeit. Der Arbeitgeber muss Jiří dann trotzdem bezahlen. Bis Ende der Kündigungsfrist bekommt Jiri den Arbeitslohn in Höhe des Kurzarbeitergeldes.
Bei Bezug von Arbeitslosengeld I hat Jiří keine Nachteile wegen Kurzarbeit, das Arbeitslosengeld wird so kalkuliert, als hätte Jiří voll gearbeitet.
Jiří kann die Klagen mündlich bei der Rechtsantragstelle des zuständigen Arbeitsgerichts einreichen. Die Zuständigkeit des Gerichtes richtet sich grundsätzlich nach dem Sitz des Arbeitgebers. Wenn Jiří in einem anderen Ort gearbeitet hat, als der Sitz des Arbeitgebers, kann er auch bei dem Arbeitsgericht dort klagen. Das ist seine Wahl. Das örtlich zuständige Arbeitsgericht findet Jiří online:
https://www.gerichtsverzeichnis.de/verzeichnis. php
Jiří kann die Klageformulare ausfüllen und per Post oder Fax an das Arbeitsgericht senden. Die Klagevordrucke sind auf den Websites vieler Arbeitsgerichte zu finden.
Bei dem Ausfüllen des Klageformulars können die Beraterinnen und Berater der arbeitsrechtlichen Beratungsstellen helfen.
Wichtig! Jiří muss die Klage innerhalb von drei Wochen ab dem Tag, an dem ihm das Kündigungsschreiben zugegangen ist, im Gericht einreichen. Danach ist dies grundsätzlich nicht mehr möglich.
Wenn das Arbeitsgericht feststellt, dass die Kündigung rechtlich unbegründet oder sozial ungerechtfertigt war, kann Jiří seinen Arbeitsplatz behalten.
Da die Beraterinnen und Berater weitgehende Abweichungen zwischen Arbeitszeitlisten und Entgeltabrechnungen und damit sehr wahrscheinlichen Missbrauch von Kurzarbeitergeld festgestellt haben, raten sie Jiří dazu, die Agentur für Arbeit über den Sachverhalt zu informieren und weitere Nachweise z. B. echte Arbeitszeitlisten vorzulegen. Am besten schriftlich per E-Mail oder per Post. Die Kontaktdaten der örtlichen Agentur für Arbeit findet Jiří online:
https://con.arbeitsagentur.de/prod/apok/metasuche/suche/dienststellen
Das hilft Jiří zwar nicht, das volle Gehalt zu bekommen, kann aber zur Bestrafung des Arbeitgebers führen und einem ähnlichen Verhalten in der Zukunft entgegenwirken.
Wenn die Umstände auf einen Betrug hinweisen, leitet die Agentur für Arbeit die Informationen an die Staatsanwaltschaft weiter. Die Ermittler leiten ein Strafverfahren ein, wenn Kurzarbeitergeld zu Unrecht bezogen und damit eine Straftat begangen wurde. Jiří wie auch seine Kolleginnen und Kollegen können dann als Zeugen im Verfahren auftreten.
Wenn sie mehr Stunden geleistet haben als angegeben, muss der Arbeitgeber mit einer Geld- oder sogar Freiheitsstrafe rechnen. Weitere Konsequenzen können z. B. auch der zukünftige Ausschluss bei öffentlichen Ausschreibungen sein. Der Arbeitgeber gilt dann nicht mehr als gewerberechtlich zuverlässig.
Im Regelfall besteht nur für den Arbeitgeber ein Strafbarkeitsrisiko. Es gibt aber Ausnahmen, bei denen den Beschäftigten strafrechtliche Beihilfe vorgeworfen werden könnte. Das passiert in der Praxis aber selten.
Eventuell kommt in Jiřís Fall auch ein Verstoß gegen das Mindestlohngesetz in Betracht, welcher als Ordnungswidrigkeit mit einem Ordnungsgeld bis zur Höhe von 500.000€ geahndet werden kann.
Jiří kann daher den Sachverhalt auch an die Finanzkontrolle Schwarzarbeit weiterleiten. Die FKS ist eine Behörde, die Arbeitgeber kontrolliert und u. a. prüft, ob diese die Sozialbeiträge für die Beschäftigten korrekt abführen. Die Adresse der örtlich zuständigen FKS kann Jiří auf der folgenden Internetseite finden. Er benötigt lediglich die Postleitzahl des Ortes, an dem der Arbeitgeber seine Firma hat:
Jiří kann sich persönlich bei der FKS melden, eine Anzeige erstatten und eine Aussage machen. Wenn das nicht möglich ist, kann er auch online eine Mitteilung abgeben:
https://www.zoll.de/DE/Kontakt/Meldung_ FKS/kontakt_node.html