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Leiharbeit

Fallbeispiel
Marisa arbeitet bereits seit anderthalb Jahren für eine Zeitarbeitsfirma. Von Anfang an ist sie genauso wie 60 andere Portugiesinnen und Portugiesen in einem Logistikzentrum eingesetzt, wo sie für die Versandvorbereitung der Pakete zuständig ist. Sie mag ihre Arbeit. Die einzige Sache, die ihr Sorgen macht, ist die Bezahlung. Obwohl sie laut ihrem Vertrag in Vollzeit arbeitet, weiß sie nie, wie viele Stunden ihr in einem Monat zugewiesen werden und kann daher ihre Ausgaben nicht planen. In manchen Monaten bekommt sie so wenig Lohn, dass sie sich sogar das Geld für die Miete von der Familie leihen muss. Jetzt kommt noch dazu, dass der Arbeitgeber Marisa und allen Beschäftigten, die schon genauso lange wie Marisa dabei sind, einen Aufhebungsvertrag zur Unterzeichnung vorgelegt hat. Er hat versprochen, dass er sie nach drei Monaten wieder einstellen wird. Marisa weiß nicht, was sie tun soll. Sie hat gehört, dass sie kein Arbeitslosengeld bekommt, wenn sie selbst den Arbeitsvertrag auflöst.

1. Arbeitgeber

Was ihre Arbeitsstunden und ihren Lohn betrifft, ist Marisa laut ihrem Arbeitsvertrag dazu verpflichtet, 40 Stunden pro Woche für den Arbeitgeber verfügbar zu sein. Der Arbeitgeber hat sich verpflichtet, Marisa für 40 Arbeitsstunden wöchentlich zu beschäftigen und zu bezahlen. Wenn er keinen Einsatz für Marisa hat, hat Marisa trotzdem ein Recht auf den vollen Arbeitslohn, obwohl sie nicht gearbeitet hat. Das ist der sogenannte Garantielohn. Wenn der Arbeitgeber Marisa nicht für 40 Stunden sondern nur für die Stunden bezahlt, die sie faktisch gearbeitet hat, verletzt er seine arbeitsrechtlichen Verpflichtungen.

Damit Marisa ihren Garantielohn erhält, muss sie ihn vom Arbeitgeber selbst einfordern. Keine Behörde macht das für sie. Sie kann sich aber an eine gewerkschaftliche Beratungsstelle für Arbeitsrecht wenden, wo sie nähere Informationen über die Lohneinforderung bekommt.

Die Adressen der Beratungsstellen vor Ort findet Marisa online unter:

Spezifische arbeitsrechtliche Beratungsstellen

https://www.bema.berlin/

https://www.arbeitundleben.de/ beratungsstellen/beratungsstellen

https://www.faire-mobilitaet.de/ beratungsstellen

Eine Übersicht aller Beratungsstellen nach thematischem Schwerpunkt sowie auch nach Sprache findet Marisa unter:

https://www.eu-gleichbehandlungsstelle.de/ beratungsstellensuche

Wie man den Lohn vom Arbeitgeber einfordert, steht in
Kapitel 2 „Nichtauszahlung des Lohnes“.

Den Aufhebungsvertrag muss und sollte Marisa aus zwei Gründen nicht unterzeichnen:

  1. Nach 18 Monaten der Beschäftigung muss Marisa vom Logistikzentrum dauerhaft übernommen werden. Ihr Arbeitgeber (die Zeitarbeitsfirma) versucht, dies zu umgehen, indem er den Vertrag für drei Monate unterbricht.
  2. Wenn Marisa den Aufhebungsvertrag unterzeichnet, verliert sie nicht nur die Übernahmemöglichkeit bei dem Logistikzentrum, sondern muss auch damit rechnen, dass sie für bis zu drei Monate keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit hat.

2. Betriebsrat des Verleihers/des Entleihers

Einzelne Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie Marisa können sich allein nur schwer gegen den Arbeitgeber durchsetzen. Hierfür gibt es in vielen Firmen den von den Beschäftigten gewählten Betriebsrat, der die Interessen der gesamten Belegschaft im Betrieb vertritt. Falls es in der Zeitarbeitsfirma keinen Betriebsrat gibt, kann Marisa sich aber auch an den Betriebsrat des Entleihers, also des Logistikunternehmens, wenden. Der Betriebsrat des Logistikzentrums ist für Marisa hauptsächlich bei Fragen des Arbeitsplatzes zuständig, z. B. zum Arbeits- und Gesundheitsschutz oder zur Verteilung der Arbeitszeit. Das Logistikzentrum hat aber auch gegenüber Marisa und anderen Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern eine Fürsorgepflicht. Der Betriebsrat des Logistikzentrums hat zwar keinen direkten Einfluss auf den Verleiher (die Zeitarbeitsfirma), wenn es beispielsweise darum geht, den Garantielohn auszuzahlen. Er kann jedoch mit dem Hinweis auf die Fürsorgepflicht dahingehend auf den eigenen Arbeitgeber einwirken, dass dieser sich bei der Zeitarbeitsfirma für die korrekte Entlohnung der Leiharbeitskräfte einsetzt.

3. Arbeitgebernahe Schlichtungsstellen

Die meisten Zeitarbeitsunternehmen in Deutschland sind Mitglied in einem der beiden größten Arbeitgeberverbände der Branche: dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V. (BAP) oder dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e.V. (iGZ). Die Verbände vertreten die Interessen ihrer Mitglieder, verhandeln die tariflichen Bedingungen der Beschäftigung in der Zeitarbeit und bekennen sich zu fairen Arbeitsbedingungen, zur Einhaltung von Gesetzen und Arbeitsschutz sowie zu ethischen Standards. Diese Handlungsprinzipien sind im Verhaltens- bzw. Ethikkodex festgehalten. Marisa kann sich erkundigen, ob ihr Arbeitgeber einem der beiden Verbände angehört. Falls dies der Fall ist, kann Marisa sich an den zuständigen Verband wenden und ihren Fall dort schildern. Der Arbeitgeberverband kann dann vermitteln und eine Einigung herbeiführen und den Arbeitgeber von weiteren Vertragsverletzungen abhalten.

Wenn die Zeitarbeitsfirma Mitglied des iGZ ist, kann sich Marisa an die Kontakt- und Schlichtungsstelle (KuSS) wenden unter:

kontakt@kuss-zeitarbeit.de  oder Telefon: 030 25762847
 
Bei der BAP wurde keine Schlichtungsstelle eingerichtet, trotzdem ist es empfehlenswert, sich in solchen Fällen schriftlich an den Verband zu wenden:

Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V. (BAP)
Universitätsstraße 2-3a
10117 Berlin

4. Bundesagentur für Arbeit

Die Vorenthaltung des Garantielohnes ist ein Verstoß gegen § 615 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz AÜG (§ 11 Abs.
4 Satz 2). Der Versuch, die Übernahme von Marisa und anderen Mitarbeitern durch den Entleiher zu verhindern, verstößt gegen die Zielsetzung des § 1 Abs. 1b AÜG.

Diese Verstöße kann Marisa bei der Arbeitsagentur melden, die dem Arbeitgeber die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung erteilt hat. Es gibt in Deutschland drei Arbeitsagenturen, die für die Erteilung der AÜG-Erlaubnis zuständig sind: in Nürnberg, Kiel und Düsseldorf. Welche Agentur zuständig ist, hängt davon ab, wo sich der Firmensitz des Verleihunternehmens befindet:
 

Tabelle
Agentur
zuständig für
Kontakt
Agentur für Arbeit Nürnberg
90300 Nürnberg


Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland
Telefon: 0911 529-4343
Fax: 0911 529-4004343
Nuernberg.091-ANUE@arbeitsagentur.de
Mo–Fr: 8–13 Uhr / zusätzlich Do.: 13–16 Uhr


Agentur für Arbeit Kiel
24131 Kiel


Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg- Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen
Telefon: 0431 709-1010
Fax: 0431 709-1011
Kiel.091-ANUE@arbeitsagentur.de
Mo–Fr: 8–13 Uhr / zusätzlich Do.: 13–16 Uhr


Agentur für Arbeit Düsseldorf
40180 Düsseldorf


Hessen,
Nordrhein-Westfalen


Telefon: 0211 692-4500
Fax: 0211 692-4501
Duesseldorf.091-ANUE@arbeitsagentur.de
Mo–Fr: 8–13 Uhr / zusätzlich Do.: 13–16 Uhr



Die zuständige Arbeitsagentur kann den Arbeitgeber aufgrund Marisas Beschwerde überprüfen. Wenn dabei Gesetzesverstöße festgestellt werden, muss die Zeitarbeitsfirma mit Geldbußen rechnen oder es kann ihr sogar verboten werden, weiter als Zeitarbeitsfirma tätig zu sein. Wichtig ist es, dass Marisa die Situation in dem Beschwerdeschreiben genau schildert und Beweise beifügt, z. B. den Arbeitsvertrag und Lohnabrechnungen.

Arbeitsrechtliche Beratungsstellen können helfen, eine solche Beschwerde vorzubereiten (s. Schritt 1). Die Chancen für eine Bestrafung des Arbeitgebers steigen, wenn auch andere Betroffene sich der Beschwerde anschließen. Nach Abgabe der Beschwerde erhält Marisa üblicherweise keine Auskunft, wie das Ergebnis der Prüfung durch die Agentur für Arbeit ausfällt.

5. Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS)

Durch die Vorenthaltung des Garantielohnes wird zum einen gegen die Pflicht verstoßen, den Mindestlohn zu zahlen, und zum anderen werden die Sozialver sicherungsbeiträge vorenthalten. Aus diesem Grund kann Marisa auch eine Anzeige bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit erstatten, die dazu führen kann, dass die Firma überprüft und bei Fehlverhalten bestraft wird:

http://www.zoll.de/DE/Service/ Dienststellensuche/FKS/Schritt_02/_function/ Dienststellenfinder_Anliegen_FKS_Formular.html

6. Entleiher

Wenn Marisa länger als 18 Monate bei dem Logistikzentrum arbeitet, wird der Arbeitsvertrag zwischen ihr und der Zeitarbeitsfirma unwirksam. An dieser Stelle entsteht automatisch ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zwischen Marisa und dem Logistikzentrum.

Vorsicht! Im neuen Arbeitsverhältnis werden bestimmte Fristen wieder auf null gestellt. Zum Beispiel wird Marisa der gesetzliche Kündigungsschutz beim Logistikzentrum erst nach 6 Monaten ab Übernahme zuteil. Die Einsatzzeiten im Logistikzentrum aus der Vorbeschäftigung bei der Zeitarbeitsfirma werden nicht angerechnet.