„Ausreisewille“ für Anspruch auf Überbrückungsleistungen?

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Antwort Direkt „Ausreisewille“ für Anspruch auf Überbrückungsleistungen?

Der Anspruch auf Überbrückungsleistungen nach SGB XII hat nicht zur Voraussetzung, dass beim Hilfebedürftigen ein „Ausreisewille“ oder eine „Ausreisebereitschaft“ vorliegen muss. Dies hat das Bundessozialgericht in einer Revisionsentscheidung im Juli 2023 deutlich gemacht.

Hintergrund

In der Fallkonstellation ging es um einen polnischen Staatsangehörigen, der in der Notaufnahme des Universitätsklinikums Aachen nach Dienstschluss wegen Verdacht auf einen Herzinfarkt behandelt wurde. Er verfügte über kein Einkommen und Vermögen, sondern bestritt seinen Lebensunterhalt mit Betteln. Er war weder in Deutschland noch in Polen krankenversichert. Er war zu keinem Zeitpunkt in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet und war im Ausländerzentralregister nicht erfasst.

Das Bundessozialgericht bestätigte, dass dem Betroffenen als Hilfebedürftigem im gegebenen Eilfall ein Anspruch auf Überbrückungsleistungen zustand (B 8 SO 11/22 R ). Überbrückungsleistungen sind Mindestleistungen zur Sicherung des laufenden Lebensunterhalts. Sie kommen in Betracht, wenn kein Anspruch auf Sozialhilfe nach § 23 SGB XII für Ausländer/-innen besteht. Das ist etwa der Fall, wenn für einen Unionsbürger nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche ergibt oder keine Freizügigkeitsberechtigung (mehr) besteht, z.B. bei einem nicht erwerbstätigen Unionsbürger iSd § 4 FreizügG/EU, der seine Existenz nicht mehr aus eigenen Mitteln decken kann (§ 23 Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII).

Die Leistungen zur Überbrückung bis zu einer Ausreise für einen Hilfebedürftigen sind niedriger als die regulären Leistungen der Sozialhilfe und zeitlich auf einen Monat befristet. Innerhalb von zwei Jahren werden sie nur einmal gewährt. Zu den Leistungen gehören solche zur Deckung des Bedarfs an Nahrung und Körperpflege, an Unterkunft und Heizung und an Behandlung akuter Krankheits- und Schmerzzustände. In diesem Fall fiel der Verdacht auf Herzinfarkt klar unter einen akuten Krankheitszustand.

Wenn eine „besondere Härte“ vorliegt, können

  • über den genannten Katalog hinausgehend Leistungen möglich sein und
  • Leistungen auch über einen Monat hinaus gewährt werden.

Eine besondere Härte ist auch bei einem Verdacht auf Herzinfarkt gegeben, so dass laut Bundessozialgericht auch nicht nötig war zu klären, ob der Betroffene in den vergangenen zwei Jahren bereits Überbrückungsleistungen in Anspruch genommen hatte.

Hat als zusätzliche Anspruchsvoraussetzung für Überbrückungsleistungen ein „Ausreisewille“ oder eine „Ausreisebereitschaft“ vorzuliegen?

Das Bundessozialgericht bestätigt, dass dies für einen Anspruch nicht erforderlich ist. Das Gesetz sieht nicht vor, dass der Hilfebedürftige den Willen zur Ausreise äußern oder anderweitig dokumentieren muss.

Prüfreihenfolge für Überbrückungsleistungen:

  • Leistungsausschluss: Ausschluss von der Sozialhilfe für Ausländer/-innen nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 1–3 SGB XII liegt vor.
  • Hilfebedürftigkeit: Wird vermittelt nach vorhandenem Einkommen und Vermögen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine erwerbsfähige oder nicht erwerbsfähige Person handelt.
  • Zweijahreszeitraum: Personen dürfen nicht innerhalb der letzten zwei Jahre schon einmal Überbrückungsleistungen erhalten haben. Die Frist beginnt mit dem Erhalt einer Überbrückungsleistung (tatsächlicher Erhalt der Leistung maßgeblich, bei Teilleistungen gilt erstmalige Zahlung). Info einzuholen über Sozialhilfeträger.
  • Härtefall: Besondere Härte durch individuelle Besonderheiten liegt vor – dadurch Erweiterung bei Umfang und Art der Leistungen möglich (Leistungskatalog zu Überbrückungsleistungen unter § 23 Absatz 3 Satz 5 SGB XII) und Erweiterung des Zeitraums – über einen Monat hinaus – möglich.