Überbrückungsleistungen für EU-Bürgerin – auch ohne Freizügigkeitsrecht

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Streitig waren in dem Gerichtsverfahren (L 15 SO 181/18 ) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einer in Prag geborenen Klägerin, die sowohl die tschechische als auch die syrische Staatsangehörigkeit besitzt, lange in Syrien lebte und kriegsbedingt 2015 nach Deutschland einreiste. 

Die Klägerin hatte nach den Feststellungen des zuständigen Senats keinen Anspruch auf reguläre Leistungen der Sozialhilfe nach SGB XII (§ 23 Absatz 3 Satz 1 SGB XII). Sie besaß kein unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht (nach Freizügigkeitsgesetz/EU) oder sonstiges Aufenthaltsrecht, so dass der Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen war.

Allerdings erkannten die Richter einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen an (§ 23 Absatz 3 Satz 3 SGB XII). Überbrückungsleistungen sind Mindestleistungen zur Sicherung des laufenden Lebensunterhalts. Sie sind niedriger als die regulären Leistungen der Sozialhilfe und zeitlich befristet – beispielsweise bis zu einer möglichen Ausreise. Im Gesetzestext heißt es: „Hilfebedürftigen Ausländern (…) werden bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen) (…).“

Das fehlende Freizügigkeitsrecht der Klägerin sahen die Richter nicht als Ausschlussgrund für ihren Anspruch auf Überbrückungsleistungen an. EU-Bürger/innen hätten eine „ausländerrechtlich privilegierte Stellung“, heißt es. Solange die Ausländerbehörde nicht die erforderlichen Maßnahmen ergreife, um diesen Status zu beenden, gelte der Aufenthalt als rechtmäßig und liege keine Verpflichtung zur Ausreise vor.

EU-Bürger/innen können also nach dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg auch ohne ein zum Aufenthalt berechtigendes Freizügigkeitsrecht beim Sozialamt Überbrückungsleistungen beantragen – es sei denn, die Ausländerbehörde hat eine „Verlustfeststellung“ zum Freizügigkeitsrecht getroffen und eine bestandskräftige und weiterhin wirksame Ausweisungsverfügung erlassen. 

Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt, so dass die Entscheidung der nächsten Instanz abzuwarten bleibt (Bundessozialgericht, Az. B 8 SO 7/19 R).

Ausreisewille für den Anspruch auf Überbrückungsleistungen erforderlich?
Der Anspruch auf Überbrückungsleistungen ist nach Auffassung der Bundesregierung nicht abhängig davon, dass als subjektives Tatbestandsmerkmal ein Ausreisewille bei der betroffenen Person vorliegt. Das hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) schriftlich bestätigt und auch bei der Konferenz der Obersten Landessozialbehörden im September 2017 öffentlich vertreten.