Fallbeispiel
Stipo hat Pech! Er arbeitet als Roomboy. Gerade erst hatte er eine neue Arbeit im Hotel gefunden und kurz darauf dort gleich einen Unfall, durch den er nun nicht mehr arbeiten kann. Zu seinen Aufgaben gehört neben der Zimmerreinigung auch, seine Arbeitsutensilien vorzubereiten und die Arbeitswagen auszustatten. Jeden Tag hat er Flaschen mit einem stark reizenden Reinigungsmittel aus einem Kanister aufgefüllt. Schon vor einigen Tagen hat er bemerkt, dass der Schlauch des Kanisters ein Loch hat. Gestern hat Stipo deswegen etwas von der reizenden Substanz in die Augen bekommen. Obwohl er seine Augen sofort mit Wasser ausgespült hat, ist er verletzt und kann kaum sehen. Nachdem die Hoteldame von dem Vorfall erfahren hat, bekam er ein Kündigungsschreiben. Das empfindet Stipo als ungerecht. Wie geht Stipo in dieser Situation vor?
Stipo muss vor allem sofort medizinisch versorgt werden. Er sollte daher einen Arzt aufsuchen oder den Rettungsdienst alarmieren. Unfälle in und während der Arbeit sind Arbeitsunfälle. Für Arbeitsunfälle ist in Deutschland ein spezieller Arzt zuständig: Der sogenannte Durchgangsarzt. Stipo sollte diesen Arzt aufsuchen. Den nächsten Durchgangsarzt kann Stipo hier finden:
Oder er kann seinen Arbeitgeber fragen, wo der nächste Durchgangsarzt zu finden ist. Er kann auch in ein Krankenhaus fahren und sagen, dass er einen Arbeitsunfall hatte. Jedes Krankenhaus hat in der Regel einen Durchgangsarzt.
Geht Stipo nicht zu einem Durchgangsarzt, sondern zu einem anderen Arzt, muss er unbedingt erwähnen, dass er einen Arbeitsunfall hatte. Beim Arzt muss Stipo seine Krankenversicherungskarte vorlegen.
Es ist wichtig, dass Stipo sich alle Einzelheiten des Unfalls aufschreibt: Datum, Uhrzeit, Hergang und Zeugen. Diese Informationen können später wichtig sein, z. B. bei den Rückfragen der Versicherung. Stipo muss seinen Arbeitgeber umgehend über den Arbeitsunfall informieren. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, alle Arbeitsunfälle im Betrieb zu erfassen. Wenn Stipo infolge des Arbeitsunfalls länger als drei Tage arbeits- unfähig ist, hat der Arbeitgeber die Pflicht, den Unfall bei der zuständigen Berufsgenossenschaft innerhalb von drei Tagen zu melden. Stipo muss vom Arbeitgeber die Kopie der Unfallanzeige bekommen, darauf hat er ein Anrecht.
Wenn Stipo vom Arbeitgeber keine Kopie der Unfallanzeige bekommt und auch keine Information dar- über, bei welcher Berufsgenossenschaft die Anzeige gemeldet worden ist, dann sollte er überprüfen, ob der Arbeitgeber den Arbeitsunfall tatsächlich gemeldet hat. Diese Auskunft kann er von der Berufsgenossenschaft telefonisch, persönlich oder mit der Unterstützung einer Beratungsstelle für Migrantinnen und Migranten bekommen. Der Arbeitgeber von Stipo haftet nicht für den entstandenen gesundheitlichen Schaden und seine Folgen. Er muss Stipo weder Schadenersatz noch Schmerzensgeld zahlen. Anders wäre es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsunfall von Stipo vorsätzlich verursacht hätte, was hier nicht der Fall ist. Stipo hat wegen des Arbeitsunfalls Ansprüche gegenüber der gesetzlichen Unfallversicherung.
Dass Stipo nach dem Arbeitsunfall sofort eine Kündigung bekommen hat, war für ihn ein besonders harter Schlag. Leider ist Stipo erst seit kurzem im Hotel beschäftigt. In den ersten sechs Monaten eines neuen Arbeitsverhältnisses sind Beschäftigte leicht zu kündigen. Auch nach einem Arbeitsunfall hat man aus diesem Grund keinen besonderen Kündigungsschutz.
Eine Kündigung darf jedoch weder treu- noch sitten- widrig sein. Um beurteilen zu können, ob das in dem Fall von Stipo so war, sollte Stipo sich den Rat eines Anwalts für Arbeitsrecht einholen. Dann kann er entscheiden, ob er gegen die Kündigung beim Arbeitsgericht vorgehen will. Dafür hat er drei Wochen Zeit.
Stipo kann für diese Beratung bei einem Rechtsanwalt Beratungshilfe beantragen. Stipo kann beim Amtsgericht an seinem Wohnort folgenden Antrag einreichen:
Wenn die Beratungshilfe bewilligt wird, muss Stipo die Rechtsanwaltskosten für die Beratung nicht zahlen.
Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte orientieren sich an dem jeweiligen Firmensitz bzw. Arbeitsort. Das heißt für Stipo: Er muss schauen, welches Arbeitsgericht für den Ort, wo sich das Hotel befindet, zuständig ist und dort seine Klage einreichen. Wenn der Hotelbetreiber eine andere Anschrift hat als die seines Arbeitsortes, kann Stipo auch bei dem dortigen Arbeitsgericht die Klage erheben.
Stipo ist als Arbeitnehmer in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert. Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen. Die Berufsgenossenschaften sind nach Branchen aufgeteilt:
Neben den Berufsgenossenschaften gibt es auch die Unfallkassen, in denen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst gegen Unfälle versichert sind:
www.dguv.de/de/bg-uk-lv/unfallkassen/index. jsp
Stipo ist in einem Hotel beschäftigt. Für ihn ist die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe zuständig. Wenn seine Anzeige dort eingegangen ist, prüft die Berufsgenossenschaft, ob sein Unfall ein Arbeitsunfall war. Das Ergebnis bekommt Stipo in Form eines schriftlichen Bescheids. Wird der Unfall als Arbeitsunfall anerkannt, erhält er Leistungen aus der Unfallversicherung. Sollte sich herausstellen, dass der Arbeitgeber den Unfall nicht angezeigt hat, so muss Stipo selbst mithilfe dieses Formulars den Unfall an die Berufsgenossenschaft melden. Beim Ausfüllen des Formulars kann ihm eine Beratungsstelle für Migrantinnen und Migranten helfen:
https://www.eu-gleichbehandlungsstelle.de/ beratungsstellensuche
Bei einem Arbeitsunfall hat Stipo Recht auf folgende Leistungen:
Die Behandlung und Rehabilitation von Stipo können eine längere Zeit dauern. Er kann sie in Deutschland durchführen, hat aber auch das Recht, in sein Heimatland Kroatien zurückzukehren und dort die Behandlung fortzusetzen. Die Kosten der weiteren Behandlung trägt in diesem Fall die deutsche Unfallversicherung. Um sich auf dieser Grundlage in Kroatien behandeln zu lassen, benötigt Stipo die Bescheinigung DA 1, die von der Berufsgenossenschaft ausgestellt wird und entweder Stipo persönlich oder einer Verbindungsstelle in Kroatien zugeschickt wird.
Auch das Verletztengeld aus Deutschland kann Stipo in Kroatien weiterhin beziehen. Vor der Abreise sollte Stipo die Berufsgenossenschaft und die Krankenkasse in Kenntnis setzen, dass er seinen Wohnsitz in Deutschland aufgibt sowie die neue Anschrift in Kroatien mitteilen.
Bei den arbeitsschutzrechtlichen Problemen sind auch die Betriebsräte wichtige Ansprechpartner. Stipo sollte sich erkundigen, ob das Hotel einen Betriebsrat hat. Der Betriebsrat sorgt u. a. für den Arbeits- und Gesundheitsschutz und sollte daher von den Umständen des Unfalls erfahren. Das kann dazu führen, dass Vorkehrungen im Betrieb getroffen werden, um solche Arbeitsunfälle in Zukunft zu verhindern.
Die Arbeitsschutzbehörden sind in Deutschland gemeinsam mit den Berufsgenossenschaften zuständig für die Überwachung der arbeitsschutzrechtlichen Regelungen und die Vermeidung bei Arbeitsunfällen.
Die Arbeitsschutzbehörde wird automatisch bei einem Arbeitsunfall informiert, wenn der Arbeitgeber den Unfall anzeigt. Falls der Arbeitgeber das nicht tut, kann Stipo auch selbst die Arbeitsschutzbehörde über die Umstände des Unfalls benachrichtigen, damit sie den Betrieb, den Zustand der Ausstattung und die Sicherheit des Arbeitsplatzes kontrollieren und eventuelle Sicherheitsmängel beanstanden kann. Die Adressen der Arbeitsschutzbehörden findet Stipo hier: