Fallbeispiel
Ivan aus Bulgarien ist neu in Berlin und auf Arbeitssuche. Er wohnt vorübergehend bei einem Freund. Dieser hilft Ivan, bis er eine eigene Wohnung findet. Die Wohnungssuche ist wenig aussichtsreich, weil Ivan noch keine Arbeit hat und daher keine Einkommensnachweise vorlegen kann. Er kann sich bei seinem Freund nicht anmelden, weil der Vermieter die Untermiete nicht erlaubt hat. Ivan hat versucht, sich bei der Bundesagentur für Arbeit als arbeitssuchend zu melden. Er wurde aber weggeschickt, weil er keine Anmeldung vorlegen kann. Ivan wollte auch ein Bankkonto eröffnen. Er hat bei mehreren Banken gefragt, wurde aber immer abgelehnt, weil er nicht angemeldet ist. Über Bekannte wurde ihm ein Job in einem Imbissladen angeboten. Der Imbissbesitzer hat Ivan aber gesagt, dass er ihn ohne polizeiliche Anmeldung nicht beschäftigen darf. Er verlangt auch die Steueridentifikationsnummer und Sozialversicherungsnummer, die Ivan nicht hat. Ivan ist verzweifelt. Im Internet hat er ein bulgarisches Consultingbüro gefunden, bei dem man für 100 € monatlich eine Meldeadresse kaufen kann, und überlegt, das Angebot zu nutzen.
Eine gekaufte Meldeadresse ist keine Lösung, denn hier handelt es sich um eine Scheinanmeldung, die ordnungswidrig ist. Zum einen verletzt Ivan das Recht, wenn er diese Adresse Behörden vorlegt. Zum anderen hat er keine Kontrolle über den Eingang von wichtigen amtlichen Briefen, da er die Post niemals persönlich erhalten würde.
Eine Meldeadresse ist keine Voraussetzung für die Arbeitsaufnahme. Der Arbeitgeber darf von Ivan daher keine Anmeldebescheinigung verlangen. Es reicht aus, dass Ivan dem Arbeitgeber eine aktuelle Adresse angibt, unter der er erreichbar ist, z. B. bei seinem Freund.
Wenn Ivan Schwierigkeiten hat, den Imbissbesitzer davon zu überzeugen, kann er ihm die Kurzinformation vorlegen, die das Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit gemeinsam mit der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales veröffentlicht hat. Das Infoblatt ist hier zu finden:
Der Arbeitgeber darf von Ivan verlangen, dass er eine Bescheinigung zur Anmeldung bei der Krankenkasse und Sozialversicherungsnummer vorlegt.
Da Ivan noch nie in Deutschland versichert war, muss er zunächst eine Krankenkasse wählen. Der Arbeitgeber muss ihn dann bei dieser Krankenkasse anmelden. Eine Meldeadresse ist nicht notwendig, Ivan muss nur eine Kontaktadresse angeben, z. B. die seines Freundes (Ivan Nachname, wohnhaft „bei Herrn/Frau“).
Sobald der Arbeitgeber Ivan bei der Krankenkasse meldet, ist er durch den Arbeitgeber sozialversichert (das umfasst die Renten-, Unfall-, Pflege- und Arbeits- losenversicherung). Ivan erhält dann automatisch auch eine Sozialversicherungsnummer zugeteilt, die ihm zugeschickt wird.
Ivan hat wie jeder, der sich in Deutschland rechtmäßig aufhält, Recht auf die Eröffnung eines Basiskontos. Er darf weder auf Grund seiner Staatsangehörigkeit noch seines Wohnsitzes benachteiligt werden. Eine Meldeadresse ist für die Eröffnung nicht nötig.
Mit dem Basiskonto können Bareinzahlungen, Auszahlungen, Lastschriften und Überweisungen ausgeführt werden.
Ivan muss bei der Bank nur seinen Personalausweis oder Pass vorlegen und eine postalische Anschrift angeben. Es reicht aus, wenn er über seinen Freund erreichbar ist. Ivan kann den Antrag nutzen, den er von der Bank bekommt, oder den folgenden Antrag:
Das Beispiel eines Formulars zum Beantragen eines Basiskontos finden Sie hier PDF, 592 KB, Datei ist nicht barrierefrei .
Er muss das Formular selbst oder mithilfe einer Beratungsstelle ausfüllen und bei der Bank einreichen. Jetzt geht es schnell: Die Bank hat maximal zehn Geschäftstage Zeit, um das Konto zu eröffnen.
Falls die Bank seinen Antrag ablehnt, muss sie ihm das ebenfalls innerhalb von zehn Geschäftstagen mitteilen. Dann kann sich Ivan selbst oder mithilfe einer Beratungsstelle an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht wenden. Dort kann er beantragen, dass die Entscheidung der Bank überprüft wird.
Falls die Ablehnungsentscheidung unbegründet war, wird die Kontoeröffnung angeordnet, d.h. die Bank muss das Konto eröffnen. Ivan erhält darüber eine schriftliche Bestätigung.
Ivan kann sich alternativ auch an jede Antidiskriminierungsstelle wenden:
Die Antidiskriminierungsstelle kann die Bank kontaktieren und den Fall für Ivan klären.
Der Arbeitgeber benötigt von Ivan eine Steueridentifikationsnummer, um für die Lohnabrechnung Zugriff auf die ELStAM-Daten (Lohnsteuerabzugsmerkmale) zu haben.
Da Ivan nicht gemeldet ist, wird ihm vom Finanzamt nicht automatisch eine Steueridentifikationsnummer erteilt.
Als eine steuerpflichtige Person, die nicht in Deutschland gemeldet ist, hier aber Geld verdienen wird, muss Ivan selbst tätig werden und beim zuständigen Finanzamt nach einer Steueridentifikationsnummer fragen.
Das Finanzamt fordert diese beim Bundeszentralamt für Steuern an, was eine Zeit dauern kann.
Für die Zwischenzeit kann Ivan beim Finanzamt in seinem Wohnbezirk eine Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug beantragen. Diese Möglichkeit ist in § 39e Abs. 8 S.1 Einkommenssteuergesetzes (EStG) vorgesehen. Die Bescheinigung wird für ein Kalenderjahr ausgestellt und ersetzt vorerst die vom Arbeitgeber geforderte Steueridentifikationsnummer.
Den Antrag auf diese Bescheinigung kann Ivan selbst oder mithilfe einer Beratungsstelle ausfüllen. Auch Ivans Arbeitgeber kann für ihn die Bescheinigung beantragen, wenn Ivan ihn dazu bevollmächtigt.
Sobald Ivan sich mit einem eigenen Wohnsitz anmeldet, wird ihm die Steueridentifikationsnummer per Post zugesandt. Diese muss er dem Arbeitgeber mitteilen. Dann braucht Ivan die Ersatzbescheinigung nicht mehr.
Wenn Ivan dem Arbeitgeber keine Bescheinigung vorlegt, muss der Imbissbesitzer als Ivans Arbeitgeber seinen Arbeitslohn dennoch steuerlich abrechnen. In diesem Fall wird das Einkommen von Ivan mit der Steuerklasse VI abgerechnet (§ 39 c Abs.1 Einkommensteuergesetz (EStG)). Wenn ihm dabei zu viel Lohnsteuer abgezogen wird, kann Ivan sie im nächsten Jahr durch eine Steuererklärung zurückerhalten.
Ivan kann sich auch ohne Meldeadresse bei der Agentur für Arbeit (oder Arbeitsagentur) arbeitssuchend melden. Dieses Recht hat Ivan, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin hat. Ivan weiß zwar noch nicht, wie lange er in Berlin bleibt, aber er plant, hier zu arbeiten und zu wohnen.
Ivan soll sich dort, wo er sich aufhält und übernachtet an die Agentur für Arbeit wenden, also in dem Bezirk, in dem sich die Wohnung seines Freundes befindet.
Die Adresse der Agentur kann Ivan einfach hier ermitteln:
https://www.arbeitsagentur.de/ueber-uns/ ansprechpartner
Wichtig ist, dass Ivan postalisch erreichbar ist, z. B. durch Zusätze zu seiner Adresse (z. B. „c/o“, „bei Herrn/Frau“, etc.).
Ivan kann als ein Unionsbürger auch ohne deutsche Sprachkenntnisse die Dienste der Arbeitsagentur nutzen. Wenn Ivan erklärt, dass er niemanden mitbringen kann, der für ihn übersetzt, dann muss die Bundesagentur für die Übersetzung sorgen, z. B. durch eigene Mitarbeiter oder eine Dolmetscher-Hotline. Dafür muss Ivan nichts bezahlen.
Ivan kann sich auch online als arbeitssuchend melden:
https://anmeldung.arbeitsagentur.de/portal
Die Agentur für Arbeit kann Ivan bei der Arbeitssuche unterstützen. Sie kann ihn beraten, wie er sich gut auf dem Arbeitsmarkt zurechtfindet und ihm helfen, ein Bewerberprofil zu erstellen. Beim Berufsinformationszentrum (BiZ) der Bundesagentur kann Ivan z. B. Computerarbeitsplätze nutzen, um seine Bewerbungs- unterlagen auszudrucken oder einzuscannen.
Sobald Ivan eine eigene Wohnung mietet, muss er sich unbedingt anmelden. Nach § 27 Abs. 2 S.3 Bundesmeldegesetz (BMG) besteht auch für Personen, die sonst im Ausland eine Meldeadresse haben, eine Meldepflicht. Nach drei Monaten in Deutschland muss Ivan seine Wohnung innerhalb von 14 Tagen beim Bürgeramt/ Einwohnermeldeamt anmelden. Eine Wohnung ist dabei
„jeder umschlossene Raum, der zum Wohnen oder Schlafen benutzt wird“ (§ 20 BMG).
Viele Ansprüche, die Ivan in Deutschland als freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger hat, kann er nur dann geltend machen, wenn er seinen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland durch die Vorlage einer Anmeldebescheinigung glaubhaft macht.