Fallbeispiel
Dona Victoria ist aus einem Dorf in der Nähe von Cluj (Rumänien) nach Deutschland gereist. Das Jobangebot, das Florin ihr gemacht hat, war eine lange Reise wert: Arbeit mit Papieren in einer Fleischfabrik in Deutschland, organisierte Anreise, Unterbringung beim Arbeitgeber und nicht zuletzt 1.500 € monatlich auf die Hand. Vor Ort hat sich herausgestellt, dass sie bei einem großen Fleischproduzent arbeiten wird, dessen Dosenfleisch sogar in Rumänien verkauft wird.
Florin hat sie in ihrem Heimatdorf kennengelernt, wo er über ihre Kirchengemeinde Arbeiterinnen und Arbeiter gesucht hat. In Deutschland hat Florin Dona Victoria ihren Arbeitsausweis gegeben, ihr die Unterkunft gezeigt und die Arbeit erklärt. Er war es auch, der Dona Victoria immer am Ende des Monats den Lohn bar in einem Umschlag übergeben hat. Einen schriftlichen Arbeitsvertrag hat Dona Victoria jedoch nicht erhalten. Sie bekommt auch nie Lohnabrechnungen oder andere Dokumente von Florin. Sie weiß nicht, ob sie versichert ist und zum Arzt gehen kann. Sie hat Florin nach dem Vertrag und der Krankenversicherung gefragt, aber ohne Erfolg. Sie fragt sich, ob sie legal beschäftigt ist.
In Deutschland ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Arbeitnehmerin die Beschäftigungsbedingungen (u. a. Vergütung, Arbeitszeit, Dauer des Vertrages etc.) schriftlich zu bestätigen. Dies geschieht üblicherweise in einem Arbeitsvertrag. Die Informationen über die Namen und Adressen der Vertragsparteien, vereinbarte Vergütung und Arbeitszeit müssen bereits am ersten Tag der Arbeitsleistung schriftlich bestätigt werden.
Normalerweise bekommen alle Beschäftigten einen schriftlichen Arbeitsvertrag. Dass Dona Victoria ihn nicht bekommen hat, bedeutet nicht, dass sie illegal beschäftigt ist. Ob eine Arbeit legal ist, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber sie zur Sozialversicherung gemeldet hat und Sozialversicherungsbeiträge zahlt. Die Sozialabgaben müssen vom Bruttobetrag des Lohnes abgeführt werden.
Berechnung der Sozialabgaben:
1.500 € netto = ca. 2.082,87 € brutto
Florin sollte die Sozialabgaben vom Bruttobetrag 2.082,87 € zahlen.
Ein Beschäftigungsverhältnis ohne schriftlichen Arbeitsvertrag ist aber untypisch und könnte ein Anzeichen dafür sein, dass Florin sie nicht ordnungsgemäß zur Sozialversicherung gemeldet hat. Auch dass er ihr den Lohn bar auszahlt, ist an sich nicht verboten. Es kommt allerdings in der Praxis selten vor und könnte für Dona Victoria auch ein Anzeichen für Schwarzarbeit sein.
Um die Situation zu klären, sollte Dona Victoria Florin auffordern, ihr den schriftlichen Arbeitsvertrag zu geben. Sie sollte ihn auch nach der Meldebescheinigung zur Sozialversicherung fragen. Der Arbeitgeber muss sie mit der ersten Lohnzahlung zur Sozialversicherung anmelden, spätestens aber sechs Wochen nach Arbeitsaufnahme.
Die Meldung zur Sozialversicherung erfolgt in Deutschland über die Krankenkasse. Florin muss also alle versicherungsrelevanten Daten von Dona Victoria der Krankenkasse melden. Wenn sie noch nie in Deutschland gearbeitet hat, muss Florin Dona fragen, bei welcher Krankenkasse sie versichert sein will. Wenn ausländische Beschäftigte zum ersten Mal Arbeit in Deutschland aufnehmen, wählen ihre Arbeitgeber die Krankenkasse oftmals für sie ohne zu fragen. Das ist nicht korrekt, kommt aber häufig vor. Florin müsste in diesem Fall Dona Victoria sagen, in welcher Krankenkasse er sie versichert hat.
Nach der Anmeldung schickt die Krankenkasse Dona Victoria die Versichertenkarte zu, mit der sie zum Arzt gehen kann. Erhält sie keine Versichertenkarte, obwohl sie eine Versicherung gewählt hat, kann sie die Krankenkasse kontaktieren und fragen, ob sie tatsächlich angemeldet wurde. Diese Auskunft kann sie telefonisch oder persönlich bekommen. Bei der Klärung dieser Frage kann sie eine Beratungsstelle für Migrantinnen und Migranten unterstützen:
https://www.eu-gleichbehandlungsstelle.de/ eugs-de/eu-buerger/beratungsstellen-suche
Wurde Dona Victoria nicht von Florin versichert, so muss sie selbst eine Krankenkasse für sich wählen. Es ist ausreichend, dass sie die Krankenkasse darüber informiert, dass sie eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hat.
Die Liste aller Krankenkassen findet sie u. a. auf dieser Website:
https://www.krankenkassen.de/gesetzliche-krankenkassen/krankenkassen-liste/
Die Angebote der Krankenkassen sind unterschiedlich. Die Kassen haben verschiedene Bonusprogramme und Zusatzleistungen. Sie unterscheiden sich auch durch die Beratungsformen (persönlich vor Ort, telefonisch, per E-Mail). Manche Krankenkassen bieten Beratung in verschiedenen Fremdsprachen an. Dona Victoria kann die Krankenkasse, der sie beitritt, nicht einfach jederzeit wechseln. Aus diesem Grund sollte sie sich vor der Krankenkassenwahl gründlich über das Angebot informieren. Dabei können Beratungsstellen für Migrantinnen und Migranten sie unterstützen.
Über die Wahl ihrer Krankenkasse muss Dona Victoria Florin benachrichtigen. Wenn Florin die Sozialabgaben bei der gewählten Krankenkasse nicht zahlt, fordert die Krankenkasse sie von Florin ein. Wenn Dona Victoria nachweisen kann, dass sie in einem Arbeitsverhältnis mit Florin steht, muss die Lücke in der Krankenversicherung von der Krankenkasse geschlossen werden. Sie sollte daher bei der Krankenkasse Angaben über ihre Beschäftigung machen, v.a. wann sie die Arbeit aufgenommen hat, wie viel Entgelt sie bekommen hat und Belege dafür vorlegen.
Sofern Dona Victoria nach Rücksprache mit Florin und der Krankenkasse feststellt, dass Florin keine Sozialversicherungsbeiträge für sie gezahlt hat, kann sie sich an den Dosenfleischproduzenten wenden, bei dem sie die Arbeit ausführt.
In Deutschland fallen die Beschäftigten in der Fleischverarbeitung, im Bau sowie in der Paket- und Kurierbranche unter besonderen Schutz, wenn der Arbeitgeber keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt hat. Obwohl die Fleischfabrik nicht der direkte Arbeitgeber von Dona Victoria ist, muss sie die Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wenn Florin dies versäumt hat. Als Auftraggeber von Florin ist sie dazu gesetzlich verpflichtet (die sogenannte Nachunternehmerhaftung).
Dona Victoria kann sich an eine gewerkschaftliche Beratungsstelle für ausländische Beschäftigte wenden. Dort bekommt sie Unterstützung, um die Fabrik dazu aufzufordern, die Sozialbeiträge zu bezahlen.
Spezifische arbeitsrechtliche Beratungsstellen:
https://www.arbeitundleben.de/beratungsstellen/beratungsstellen
https://www.faire-mobilitaet.de/beratungsstellen
Eine Übersicht aller Beratungsstellen nach thematischem Schwerpunkt sowie auch nach Sprache findet Dona Victoria unter:
https://www.eu-gleichbehandlungsstelle.de/beratungsstellensuche
Die Fabrik sollte dann selbst die Sozialversicherungsbeiträge zahlen oder Einfluss auf Florin nehmen, damit er die offenen Beiträge nachzahlt. Die Fabrik haftet allerdings nicht, wenn Florin nachweisen kann, dass er seine Beschäftigten ordnungsgemäß zur Sozialversicherung angemeldet hat. Dieses Papier nennt sich Unbedenklichkeitsbescheinigung. In dem Fall muss Florin aber immer noch selbst die Beiträge zahlen. Für Beschäftigte vieler Branchen (außer der Fleischverarbeitung, dem Bau und der Paket- und Kurierbranche) gibt es die Nachunternehmerhaftung für die Sozialversicherungsbeiträge nicht. Sie müssen am besten mit Hilfe eines Anwalts ihren Arbeitgeber auffordern, ihre Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen.
Florin ist auch verpflichtet, Dona Victoria beim Finanzamt anzumelden und die Lohnsteuer für sie abzuführen. Dona Victoria kann beim zuständigen Finanzamt nachfragen, ob sie angemeldet wurde. Sollte sich herausstellen, dass der Arbeitgeber dies versäumt hat, muss die Lohnsteuer nachgezahlt werden. Dafür haften Dona Victoria und Florin zusammen. Das Finanzamt kann entscheiden, von wem es die Nachzahlung der Lohnsteuer verlangt. Dona Victoria wusste nicht, dass Florin die Lohnsteuer nicht gemeldet hat. Unter solchen Umständen wird das Finanzamt normalerweise erst von Florin die Lohnsteuer verlangen. Bemessungsgrundlage der fälligen Lohnsteuer ist der Bruttolohn von 2.082,87 € (berechnet auf Grundlage der Nettolohnzahlung von 1.500,00 €).
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist eine Behörde, die Arbeitgeber kontrolliert und u. a. prüft, ob diese die Sozialbeiträge für die Beschäftigten korrekt abführen. Für die Prüfung des Falls von Dona Victoria ist die FKS in der Region zuständig, in welcher Florin seine Firma registriert hat.
Dona Victoria weiß nicht, wo Florins Firma registriert ist, daher sollte sie sich an die FKS ihres Arbeitsortes wenden. Die Anschrift kann sie im Internet ermitteln:
Dona Victoria kann sich persönlich bei der FKS melden, eine Anzeige erstatten und eine Aussage machen. Wenn das nicht möglich ist, kann sie auch online eine Mitteilung abgeben:
https://www.zoll.de/DE/Kontakt/Meldung_ FKS/kontakt_node.html
Zur effizienten Überprüfung und Bearbeitung des Falls, braucht die FKS möglichst viele Informationen. Daher sollte Dona Victoria Angaben zur Dauer des Beschäftigungsverhätnisses, der täglichen Arbeitszeit, den erhaltenen Beträgen, Zeugen usw. machen.
Die Anzeige von Dona Victoria kann dazu führen, dass die FKS prüft und ermittelt. Florin kann dann mit einem Bußgeld oder sogar mit einer Freiheitsstrafe für Steuer- und Sozialversicherungsbetrug bestraft werden. Das kann Florin auch davon abhalten, in Zukunft wieder Menschen illegal zu beschäftigen. Da Florin die Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen hat, ohne dass Dona Victoria davon wusste, muss sie nicht befürchten, auch wegen Beihilfe zum Sozialversicherungsbetrug angeklagt zu werden. Leider bekommt Dona Victoria nach der Anzeige keine näheren Auskünfte zu den Ergebnissen der Ermittlung.
Dona Victoria sollen grundsätzlich keine Nachteile daraus entstehen, dass Florin ihre Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt hat. Die Lücken aller Sozialversicherungszweige (Renten-, Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung) müssen nach Bekanntwerden der Vorgänge von der jeweiligen Versicherung geschlossen werden. Der Versicherungsschutz bleibt vollumfänglich bestehen.